Antisemitismus und Antizionismus in Kunst und Kultur

Kontinuitäten von Antisemitismus und Antizionismus in Geschichte und Gegenwart der documenta – Tina Turnheim

Zwei Jahre nach Ende der documenta fifteen sind Antisemitismus und Antizionismus in Kunst und Kultur allgegenwärtig. Der Skandal ist verblasst, das Problem hat sich verfestigt. Nach dem größten Massaker an Jüdinnen:Juden seit der Shoah scheint es in weiten Teilen der Kunstszene mehr denn je zum guten Ton zu gehören, gegen Israel zu hetzen und Jüdinnen:Juden zu entmenschlichen. Kunsthochschulen wurden nicht nur zu Schauplätzen antisemitischer und antizionistischer Performances, sondern auch zu No-go-Areas für jüdische Studierende. Jüdische und antisemitismuskritische Positionen finden hingegen keine Bühne mehr. Antizionistische Slogans, die zuvor im Kontext der documenta fifteen aufgefallen waren, prägen nun den öffentlichen Raum.

Angesichts dieser Zuspitzung wagt der Vortrag nicht nur den Blick zurück auf die documenta fifteen, sondern auch auf die Kontinuitäten von Antisemitismus und Antizionismus in der Geschichte dieser »Weltkunstschau«. Denn die documenta fifteen war kein Einzelfall. 1955 als Gegenstück zur NS-Ausstellung »Entartete Kunst« (1937) inszeniert, sollte die documenta mit ihrem geschichtsglättenden Gründungsmythos zum Bild eines geläuterten Deutschlands beitragen. Dafür wurde wiederholt auf Dramaturgien von Schulabwehr und Täter-Opfer-Umkehr sowie künstlerisch-kuratorische Narrative von Heil(ung) zurückgegriffen und auf Weltoffenheit rekurriert. Als Bindeglied zwischen den Gründungsfiguren der documenta, die ihre Parteiuniformen gegen zivile Anzüge getauscht hatten, und den antizionistischen Positionen späterer documenta-Ausgaben, prägte der querfrontlerische, völkische Filz des deutschen Kunststars Joseph Beuys die documenta. Auferstanden aus den Trümmern eines abgestürzten Stuka-Bombers, verkörperte er das Narrativ der Heilung durch Kunst wie kein Zweiter und durfte auch auf der documenta fifteen nicht fehlen. Der Antisemitismus der documenta fifteen, so lautet die Hauptthese dieses Vortrags, ist das Resultat davon, dass damit begonnen wurde, die documenta zu entkolonialisieren, lange bevor ihre Entnazifizierung auch nur ansatzweise ernsthaft vorangetrieben wurde.

Tina Turnheim ist Theaterwissenschaftlerin und arbeitet in unterschiedlichen Konstellationen der Freien Szene als Regisseurin, Dramaturgin und Autorin. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien und Berlin und war Promotionsstipendiatin am Internationalen Graduiertenkolleg InterArt der FU Berlin, wo sie 2022 ihre Dissertation verteidigte. Als Gastwissenschaftlerin am Goldsmiths College der University of London wurde sie bereits 2014 mit dem wachsenden Einfluss des BDS-Netzwerks auf Kunst und Wissenschaft konfrontiert und beobachtet seither BDS-Bestrebungen in Deutschland. In den letzten Jahren setzte sie sich in ihrer künstlerischen Forschung verstärkt mit dem Zusammenspiel von Antisemitismus, Antifeminismus und Ableismus auseinander. Seit Anfang 2023 ist Tina Turnheim feste Mitarbeiterin des Instituts für Neue Soziale Plastik und dort in den Bereichen Recherche und Publikationen tätig. Zuletzt übernahm sie die Programmleitung des Projekts »jüdischer kulturklub ostberlin«.

Mittwoch, 25. September 2024, 19:00 Uhr

Community Art Center Mannheim
Mittelstr. 17
68169 Mannheim

Eintritt Frei

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